"Das Leben beginnt für mich mit dem Herzschlag"
"Abgetriebene Kinder sollen nicht auf den Müll kommen, sondern am Friedhof beigesetzt werden!", predigt Weihbischof Scharl beim Eröffnungsgottesdienst für den "Marsch für das Leben". Man solle nicht mit dem Strom, sondern gegen ihn schwimmen, werden die gläubigen Demonstranten in der Predigt ermahnt. Mucksmäuschenstill ist der Kirchenraum der Wiener Franziskanerkirche. Die meisten Leute sitzen regungslos da, bis sie sich zur Vorbereitung der Eucharistie hinknien.
Von emotionaler Popmusik begleitet ziehen die Leute aus der Kirche aus, um sich auf dem Franziskanerplatz zur Kundgebung zu versammeln. Einer der ersten unter Ihnen platziert sich mit einem Banner neben der Kirchentüre. Darauf wird ausgeführt, dass jeglicher Sex zur Befruchtung, und nicht zum Vergnügen dienen soll. Das würde laut ihm auch "Krieg, Hass, Scheidung, Verrat, Diebstahl, Drogen, Sex zum Vergnügen, Betrug und Mord an wehrlosen Kindern" beenden.
"Wir sind gegen alles, was gegen das Leben geht, sei es Abtreibung, Sterbehilfe, assistierter Suizid, Mord und Völkermord", äußert sich Weihbischof Scharl im Interview.
Die ungeborenen Kinder würden ihre Stimme benötigen, erklärt ein 19 jähriger Demonstrant. "Natürlich haben die Frauen das Recht über ihren Körper und ihren Bauch zu bestimmen, aber nicht über das Leben des Kindes darin", argumentiert er.
Den Demonstranten werden hellrosa und blaue Schilder mit verschiedenen Sprüchen gegen die Abtreibung ausgeteilt. Über den Menschen fliegen herzförmige Luftballons mit aufgemalten Herzen und Herzschlag. "Das Leben beginnt für mich mit dem Herzschlag", äußert sich eine schwangere Frau mit Kinderwagen. "Vom ersten an bis zum letzten Herzschlag eines Menschen ist jedes Eingreifen für mich Mord". Die Polizei schätzt die Zahl der Demonstranten auf etwa 150, also ungefähr die Hälfte der angekündigten 300. Auf der Bühne für die Kundgebung stehen Kinder mit ihren Herzluftballons. ÖVP Politikerin Gudrun Kugler spricht als Gastrednerin über das Recht auf Meinungsfreiheit, und verweist dabei auch auf das Recht der Meinungsäußerung der Gegendemonstranten.
Diese stehen mit bunten Bannern vor einem Bus am Stephansplatz. "Hätt‘ Maria abgetrieben, wär‘ uns viel erspart geblieben", liest man auf einem ihrer Plakate. Als "Fundis" bezeichnen sie die Leute, die am Marsch fürs Leben, oder den "Marsch für‘n Arsch", wie sie ihn nennen, teilnehmen. "Sie sagen, sie sind für das Leben, aber in Wirklichkeit gehen sie über Leichen, weil ihnen eben das Leben der Frauen in Wirklichkeit egal ist", argumentiert eine Gegendemonstrantin. "Wir sprechen uns ja nicht für die Abtreibung aus, sondern für 'pro choice'. Es geht darum, dass die Schwangere selbst die Wahl hat, was mit ihrem Körper passiert", ergänzt eine weitere Demonstrantin.
Die Polizei schätzt die Anzahl der Gegendemonstranten der "Plattform Feminismus" auf ungefähr gleich hoch wie der Teilnehmer am "Marsch für das Leben".